Mihaela Kavčič schreibt dieses Jahr mithilfe einer Förderung der Andreas Tobias Kind Stiftung ihre Abschlussarbeit im Studiengang Musiktherapie am Institut Knoll in Kranj, Slowenien – ein Bericht über manchmal steinigen, manchmal beschwingten Weg zur Musiktherapeutin in Slowenien.

Als Kind habe ich viel geweint. Meine Großmutter sagte, ich würde Sängerin werden. Vermutlich bedeutete das meiner Mutter Trost und so konnte sie mein Geschrei leichter ertragen. Großmutter behielt Recht. Wie hätte es auch anders sein können? In den Familien meiner Mutter und meines Vaters wurde gesungen und so wurde das Singen auch in meiner Familie etwas Verlässliches. Mit dreizehn habe ich mich einem hervorragenden gemischten Chor angeschlossen und im Jahr darauf (nach Abschluss der Musikschule) begonnen, Orgel zu spielen. Die Musik wurde zu meiner täglichen Begleiterin. Nach dem Abitur habe ich mich für das Studium zum Lehramt an Grundschulen entschlossen; schon immer hat es mich zur Arbeit mit Kindern hingezogen. Zu dieser Zeit übernahm ich auch die Leitung des Kinderchores unserer Kirchengemeinde. Als Lehrerin habe ich zuerst an einer Schule für sehbehinderte Kinder gearbeitet, später habe ich dann an die kleine,  klassenübergreifende Schule des Bergdorfes gewechselt, in dem ich auch heute noch lebe und arbeite. Während meiner Zeit als Lehrerin habe ich erkannt, wie sehr mich die Arbeit mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen anzieht. Immer stärker wurde mein Wunsch, Musik und den Lehrerberuf zu verbinden, deshalb habe ich mich in das berufsbegleitende Studienprogramm »Hilfe mit Künsten« eingeschrieben. Nach zwei Jahren Studium habe ich mich dem Projekt der damaligen Europäischen Organisation von Musiktherapie-Studierenden (EAMTS) in Bosnien-Herzegowina angeschlossen. Dort habe ich gespürt, dass ich etwas tue, was mich wirklich einlädt. Aber kurz darauf lud mich vor allem die Liebe und Sorge für meine eigenen Kinder ein.

Vor drei Jahren begann ich dann mit dem Studium der Musiktherapie am Institut Knoll in Kranj. Ich erinnere mich gut, dass ich mir bereits nach einem Monat sagte: Das ist es, was ich gesucht habe. Das Studium neben meiner Vollzeitanstellung als Leiterin der Dorfschule war keine Kleinigkeit, aber mit der Unterstützung meines Mannes und der Kinder ging es ganz gut.

Vergangenes Jahr habe ich mein erstes eigenständiges Praktikum im Seniorenheim Logatec absolviert. Ein halbes Jahr lang arbeitete ich musiktherapeutisch mit einer Gruppe von vier Menschen mit Demenz, sowie einzeltherapeutisch mit zwei Klientinnen in der palliativen Versorgung. Während dieser Zeit habe ich ein weiteres Gebiet entdeckt, das mich sehr interessiert – Musiktherapie mit Menschen mit Demenz. In den Gruppensitzungen haben wir bekannte Lieder gesungen, mit Stimme und Instrumenten improvisiert, auch getanzt haben wir. Eine der Bewohnerinnen konnte in diesem Rahmen bedeutende Schritte im Bereich der sozialen Eingebundenheit gehen. Sie hat sich entspannt und sich erlaubt, in ihrer neuen Umgebung (dem Heim) aufzuleben. Bisher hatte sie sich hier zwei Jahre lang stark isoliert. Für mich war das eine außergewöhnlich schöne Erfahrung und in diesem September werde ich mit der musiktherapeutischen Arbeit mit Menschen mit Demenz im Seniorenheim ‘Dom Marije in Marte’ in Logatec beginnen.

Im dritten Studienjahr habe ich mein zweites Langzeitpraktikum auf der Station für Hämatologie und Onkologie der Kinderklinik in Ljubljana absolviert. Die Arbeit mit Kindern ist mir nah, ich mag sie sehr. Und doch war die Musiktherapie mit Kindern mit Krebserkrankungen eine besondere Herausforderung. Auch deshalb, weil ich nie wusste, wer mich heute auf der Station erwartet, in welchem Zustand die Kinder sind und auch weil die Räumlichkeiten nicht besonder geeignet für die Musiktherapie waren. In die Kinderklinik kam ich zweimal pro Woche, um möglichst intensiv mit den Kindern arbeiten zu können. Besonders wertvoll war mir die Musiktherapie mit einem sechsjährigen Mädchen, mit dem ich ganze zehn Sitzungen halten konnte (was auf dieser Station nur sehr selten gelingt). Vom anfänglichen Kennenlernen gingen wir in lange musikalische Improvisationen über gerade zu der Zeit, in der ihr Körper die Chemotherapie nur schwer ertragen konnte. Später haben wir machmal die gesamte Sitzung hindurch nur in Musik verbracht, fast ohne Worte. Gerade wegen ihr und ihrer besonderen Energie habe ich das oft schwere Praktikum leichter bewältigen können. Zur Zeit unserer letzten beiden Sitzungen hatte sie schwere Schmerzen nach Punktionsbehandlungen, weshalb unser Abschied nicht spektakulär war, sondern sehr intim, in ihrem Zimmer. Auch mit Tränen. Und mit Hoffnung.

Hoffnung ist die, die mich auch weitertreibt. In den drei Jahren Studium habe ich gespürt, dass mich der Lehrerberuf nicht nur bereichert, sondern auch behindert. Der therapeutische Ansatz ist mir näher, deshalb habe ich mich entschieden, den Stundenumfang in der Schule zu verringern und mich dem Schreiben meiner Abschlussarbeit sowie meiner neuen Berufsidentität zu widmen – der Musiktherapeutin. Ich bin mir bewusst, das dieser Beruf in Slowenien noch nicht anerkannt ist und der Weg der beruflichen Selbständigkeit kein leichter sein wird. Und trotzdem – ich sehe den Weg und will ihm folgen. Auch wenn er durchs Gebirge führt.

Dankbar bin ich allen, die mich auf diesem Weg unterstützen. Ganz besonders der Andreas Tobias Kind Stiftung, die mir die Hand reicht für den Weg über den ersten Berg.

Mihaela Kavčič