Anfang diesen Jahres, am 29. Januar 2016, ist unsere geschäftsführende Gesellschafterin Anja Hauser nach schwerer Krankheit gestorben. Noch immer berührt uns ihr plötzlicher Abschied zutiefst. Das folgende Interview mit Volker Bernius (Hg. Musiktherapeutische Umschau, 2015) spiegelt ihre Motivation und ihr Engagement wider, welches sie von 2007 bis 2016 für die Entwicklung der Andreas Tobias Kind Stiftung aus tiefster Überzeugung an den Tag legte. Sie hinterlässt eine tiefe Lücke, die immer spürbar sein wird.

Frau Hauser, die Andreas Tobias Kind Stiftung gibt es seit über 25 Jahren. In diesem Vierteljahrhundert hat die Stiftung schon etliche musiktherapeutische Projekte unterstützt und gefördert. In welchen Bereichen ist die Stiftung vor allem tätig? 

AH: Die Andreas Tobias Kind Stiftung engagiert sich für die Ausbildung, Weiterbildung und Forschung in den Bereichen Heilpädagogik und Musiktherapie. Dabei stehen die antragstellenden Menschen in ihrer individuellen fachlichen und persönlichen Entwicklung im Mittelpunkt.

Sie setzen sich also mit den Menschen, die mit ihren Ideen und Projektvorhaben zu Ihnen kommen, bewusst auseinander und fragen nach dem individuellen Zugang der Antragsteller zu ihrem Thema…, was sind Ihre besonderen Anliegen?

AH: Unsere Vision ist eine Gesellschaftskultur, die vielfältig und lebensbejahend ist und Menschen mit Unterstützungsbedarf wertschätzt und integriert. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass individuelle und zeitgemäße Ansätze der Heilpädagogik bzw. Musiktherapie Begegnungs- und Entwicklungsräume schaffen, die in Richtung dieser Vision wirken. In der Begutachtung und Begleitung der geförderten Projekte ist für uns neben der heilpädagogischen und musiktherapeutischen auch die medizinische Expertenperspektive hinsichtlich eines ganzheitlichen Ansatzes von grundlegender Bedeutung.

In der Satzung der Stiftung, die ja vor über 25 Jahren entstand, ist von »Behinderung« die Rede. Nun hat sich ja im Sprachgebrauch und in der Bedeutung in der Zwischenzeit einiges verändert, wie interpretieren Sie »Behinderung« heute?

AH: Bei unserem Tun leitet uns die Überzeugung, dass der Begriff »Behinderung«, wie er zeitgebunden auch in unserer Stiftungssatzung verwendet wird, in keiner Weise einengend zu verstehen ist. Vielmehr sollen alle Menschen in ihrer jeweiligen Funktionsfähigkeit berücksichtigt werden. Darüber hinaus sehen wir im Umfeld der betroffenen Menschen die Aufgabe, lebensfreundliche Bedingungen für ein Mehr an Selbstbestimmung und Teilhabe zu schaffen. Das beginnt mit der Frage nach der inneren Haltung, mit der Einstellung eines jeden Einzelnen zu anderen Menschen, die – in welcher Weise auch immer – »anders« sind oder einen bestimmten Unterstützungsbedarf haben. Das Umfeld eines unterstützungsbedürftigen Menschen kann oft mit einfachen Mitteln eine Erleichterung oder Unterstützung für einen Menschen schaffen – oftmals hindert uns jedoch unser eingeschränktes Denken daran. Auch darauf möchten wir bei der Unterstützung von Projekten aufmerksam machen.

Alles entwickelt sich weiter – auch eine Stiftung. Wie hat sich die Arbeit der Stiftung in den letzten 25 Jahren verändert? Welche aktuellen Schwerpunkte setzt die Stiftung dabei?

AH: Die ersten Jahre der Stiftung waren Lehr- und Wanderjahre. Der Beirat reiste herum und besuchte Antragsteller »vor Ort«, um zu sehen und zu erleben, wie die praktischen und wissenschaftlichen Anliegen mit der Praxis verbunden waren. Projekte wie die Erstellung eines holzgefeuerten Tonbrennofens in einer heilpädagogischen Einrichtung fielen genauso in diese Zeit, wie eine Arbeit zum Beziehungsaufbau mit Frühgeborenen durch musiktherapeutische Begleitung der Eltern und Kinder…

…welche weiteren Schritte entstanden danach? 

AH: In der zweiten Phase der Stiftungsarbeit verlagerte sich das Wirken in das Haus der Familie Kind. Jährliche Stiftungstreffen fanden, im wahrsten Sinne des Wortes, ’in der guten Stube der Familie statt. Gabriele und Hellmut Kind sichteten die Anträge und führten viele Gespräche im Vorfeld der Stiftungstage. Die dritte Phase wurde durch die Verlagerung der Stiftungstreffen nach außerhalb eingeleitet. Zudem gaben Frau und Herr Kind ihre jeweiligen Tätigkeiten als Vorsitzende sowie die operative Geschäftsführung ab und trugen so rechtzeitig Sorge dafür, dass die Stiftung auch unabhängig von ihnen weiter wirken kann. Die persönliche Begegnung mit dem Namensgeber Andreas Tobias, der mit Down-Syndrom im Jahr 1956 zur Welt kam, ist ein prägendes Merkmal unserer Sitzungen geblieben.

Oftmals sind Stiftungen rein operativ (durch eigene Projekte) oder als Förderstiftung tätig. Wie gehen Sie vor?

AH: Ein sicherlich wesentlicher Einschnitt in unserer Stiftungsarbeit ist die in Jahr 2014 getroffene Entscheidung, nicht mehr nur als reine Förderstiftung tätig zu sein, sondern auch eigene Projekte zu initiieren. Der Schwerpunkt, die eingehenden Anträge zu fördern, wird bleiben. Zusätzlich werden wir aber an den Stellen, an denen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten eine wichtige Zukunftsaufgabe sehen, eigene Projekte, ggf. auch in Kooperation mit ähnlich orientierten Organisationen durchführen.

Stiftungen arbeiten überwiegend auf der Grundlage eines Stiftungskapitals, das größer oder kleiner sein kann oder sie werben zusätzliche Mittel ein, um Projekte finanzieren zu können. Wie geht hier die Andreas Tobias Kind Stiftung vor?

AH: Obwohl die Andreas Tobias Kind Stiftung mit einem Stiftungskapital von rund 3 Millionen Euro zu den kleinen Stiftungen in Deutschland zählt, konnten wir im Laufe der Jahre wichtige Impulse und Hilfen geben, die später für manche Antragstellenden zu einer bedeutenden Forschungsarbeit bzw. beruflichen Karriere beigetragen haben. Im Durchschnitt liegt das jährliche Fördervolumen bei 60.000,- Euro. Im Laufe der vergangenen 25 Jahre konnten damit rund 200 Menschen bzw. Projekte mit einem Gesamtbetrag von rund 1,3 Millionen Euro gefördert werden.

Welchen Wunsch haben Sie in Bezug auf die Entwicklung in der Musiktherapie – was erwarten Sie von Musiktherapeuten?

AH: Mein Herzenswunsch – und sicherlich ist es auch der von unseren Beiräten und Gesellschaftern – ist, dass es gelingt, mit allen Vertretern der musiktherapeutischen Ausbildungsinstitute als auch durch Einbindung der Vertreter anderer künstlerischen Therapien ein gemeinsames und politisches Handeln in Bezug auf die berufsrechtliche Anerkennung zu vereinbaren und umzusetzen. Hierfür wird die Offenheit und das Engagement der Verantwortlichen aus Musik- bzw. Kunsttherapie ausschlaggebend sein …

Anfang Juni 2015 haben Sie ein Symposium dazu durchgeführt. Warum ist das gerade jetzt wichtig?

AH: Trotz der inhaltlichen Exzellenz sind die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf die Berufsausübung und die Finanzierung musik- und kunsttherapeutischer Leistungen bis heute unzureichend ausgestaltet. Darüber hinaus droht uns meines Erachtens – auch in Deutschland – der Verlust einer qualitätsvollen, vielfältigen und lebensbejahenden Gesellschaftskultur durch eine zunehmend wirtschaftliche, materialistische Betrachtungsweise. Hier wollen wir bewusst einen Gegenpol setzen.

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